Haltung zeigen kann so einfach sein

Dr. Jochen Reiter (46) leitet die einzigartige Verknüpfung zwischen Naturkundemuseum und Aquazoo in Düsseldorf. Die Leidenschaft zur Musik, unzählige Konzerte als Solist und im Orchester mit dem Akkordeon bewegten ihn zunächst beinahe zu einem Musikstudium. Durch die enge Natur- und Tierverbundenheit der Familie und dem Interesse an der Verhaltensforschung von Tieren entschied er sich letztlich doch noch für das Biologie Studium.

Herr Reiter, Sie sind Zoo-Direktor des Aquazoo Löbbecke Museum -Was bedeutet das überhaupt und wie können wir uns Ihren typischen Arbeitstag vorstellen?

Das Besondere in Düsseldorf ist, dass ich nun auch Museumsdirektor bin, denn unser Institut ist nicht „normal“: Unser Alleinstellungsmerkmal ist und bleibt die einzigartige Verzahnung eines Zoos und Aquariums mit einem Naturkundemuseum. Es gibt z.B. Elemente innerhalb der Museumswelt, die im Flächenzoo vielleicht noch nicht so konsequent durch -und bedacht wurden: Kulturelle Teilhabe und Diversity wären zwei Beispiele. All diese Ansätze und Aufgaben innerhalb eines Instituts zu vereinen, ist eine unglaublich spannende aber auch herausfordernde Arbeit, die –Sie werden es ahnen –keinen „typischen“ Alltag vorsieht. Allein schon deshalb nicht, weil wir es mit rund 5.000 lebenden Tieren zu tun haben, die so manche Überraschung für uns parat haben

Ob man will oder nicht, um die digitale Transformation kommt kein Unternehmen herum. Und dementsprechend verändern sich auch Berufsbilder. Ist der Beruf eines Naturwissenschaftlers heute noch zeitgemäß? Oder vielleicht sogar –eben aus diesen Gründen -wichtiger denn je?

Wenn Sie sich anschauen, was die Gemüter aktuell mitunter am meisten bewegt, dann sind das durchwegs Themen, die sich im Bereich der Naturwissenschaften ansiedeln lassen. Und sie sind nicht zwingend immer nur digital sondern durchaus analog, oder vielmehr haptisch –ich spüre sie mitunter am eigenen Leib: Klimawandel, ökologischer Fußabdruck, Verlust der Artenvielfalt, Meeresverschmutzung, Plastikmüll, und so fort. Damit, denke ich, ist Ihre Frage beantwortet: Naturwissenschaften werden nie „out“ sein, sie sind für uns persönlich und unser Zusammenleben immer essentiell.

Im Aquazoo lernt der Besucher etwas über die Artenvielfalt der Meere und über die Evolution. Halten Sie es für notwendig, dass sich die Gesellschaft intensiver mit den genannten Themen beschäftigt?

Ein klares Ja! Ich saß zuletzt fassungslos vor einem Bericht, in dem ich las, dass Kinder mehr Automarken aufzählen können als heimische Tierarten. Das ist doch ein fürchterliches Armutszeugnis. Was wir vor Jahren als Schreckensszenario postulierten, ist vereinzelt nun schon bittere Realität: für einige Kinder kommt das Schnitzel aus dem Kühlregal und ist die Kuh lila… Die Zusammenhänge werden überhaupt nicht mehr begriffen, wir entfernen uns immer mehr von der Natur. Diese Aussage mag manchem zu pauschal sein, es ist aber so. Aus diesem Grund bilden den roten Faden durch unsere Ausstellung in der Tat die beiden Hauptthemen Evolution und Biodiversität. Wir erzählen die Geschichte, wie das Leben im Meer entsteht, sich im Süßwasser ausbreitet, das Land erobert und schließlich ins Meer zurückkehrt. Der Mensch ist ein Teil des Ganzen, nicht mehr und nicht weniger. Weil wir aber vermeintlich so intelligent und innovativ sind, machen wir uns alles untertan, vernichten dabei Lebensräume und Tierarten und letztlich die Lebensgrundlagen aller. Ich greife mir jetzt recht wahllos ein Beispiel heraus. Warum sind unsere Ängste so groß, dass der Wolf wiederkommt? Doch zum großen Teil deshalb, weil wir komplett verlernt haben, mit der Natur zu leben.

Also glauben Sie, dass der Aquazoo mit seiner Vielfalt an Tierarten dazu beiträgt, die Besucher für den Erhalt dieser Arten und Lebenswelten zu sensibilisieren?

Rund 450.000 Gäste kommen jedes Jahr zu uns, das ist, wenn man sich die Größe des Instituts ansieht, wirklich sehr viel. Warum kommen die Leute? Sicherlich um sich die unterschiedlichen Tiere einfach mal anzuschauen, die man sonst nie zu Gesicht bekommt. Und das ist völlig in Ordnung. Es sind ehrlicherweise doch die wenigsten von uns, die es sich finanziell erlauben können, in entfernte Länder zu reisen, um Natur-und Tierbeobachtungen durchzuführen. Die einem kostenintensiven Sport wie dem Tauchen nachgehen können, um Welten zu erleben, von denen wir noch so wenig wissen. Und nicht zu vergessen sind diejenigen unter uns, die einfach nicht mobil genug sind zu reisen. Für all die Genannten bieten wir ein Schaufenster in die Natur, indem wir auf hochprofessionelle Weise Tiere in möglichst naturnah gestalteten Anlagen halten. Die meisten Gäste nehmen aber auch gerne wahr, dass wir auf didaktisch behutsame und oftmals spielerische Art und Weise (interaktive Medien!) gewisse Inhalte vermitteln und somit bilden wollen.

Ich sage immer: Wenn wir es schaffen, dass unser Gast, ob klein oder groß, mit nur einem neuen Wissen nach Hause geht, dann haben wir unseren Bildungsauftrag erreicht. Aufgrund der bedrohlichen Entwicklungen auf unserem Planeten wollen undmüssen wir für die Belangedes Natur-, Arten-und Umweltschutzes sensibilisieren und gerade unter den jüngeren Gästen die Naturschützer von morgen herausschälen. Wir haben nur diese eine Welt und es ist ja jetzt schon beschämend, in welchem Zustand wir sie der folgenden Generation überlassen. Wir können nur schützen, was wir kennen; das ist eine vielzitierte Binsenweisheit. Damit die Schönheit aber auch Verletzlichkeit von Lebensräumen vermittelt wird, damit wieder ein starkes und gemeinsames Gefühl des Schützen-Wollens und Umkehrens in der Gesellschaft entsteht, dafür gibt es wissenschaftliche Einrichtungen wie das Aquazoo Löbbecke Museum.

Trotzdem setzen viele Menschen Zoos mit „Tierquälerei“ gleich, wie gehen Sie mit solchen Meinungen um?

Ich bezweifle, dass es viele sind… Das Tierschutzgesetz beschreibt Tierquälerei als Straftat: Niemand darf vorsätzlich ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund töten oder einem Wirbeltier erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügen.

Wer wissenschaftlich geführten Zoologischen Einrichtungen dies ernsthaft vorwirft, möchte nur eins: Zoos abschaffen. Aus den Antworten zu den beiden vorherigen Fragen dürfte klar geworden sein, wieso ich einen Zoo aber nach wie vor für sehr zeitgemäß halte. Wir Tiergärtner wissen selbst am besten, dass unsere Schützlinge in Anlagen leben, die begrenzt sind. Unsere Aufgabe ist es, diese Lebensräume so zu gestalten, dass die Tiere ein Höchstmaß ihres Verhaltensrepertoires ausleben und sich wohlfühlen können. Es liegt selbstredend doch in unserem ureigenen Interesse, stets dafür zu sorgen, die Haltungsbedingungen zu optimieren. Dann gelingen Nachzuchten bedrohter Tierarten, wir können Reservepopulationen in Menschenobhut aufbauen und hoffen, dass wir sie in ihre natürlichen Lebensräume irgendwann wieder ausbürgern und damit dem Verlust der Artenvielfalt entgegenwirken können. Wir sind die aktiven Naturschützer, nicht militante Personen oder Organisationen, die nur dagegen reden.

Die Perfektionierung der Museumswelt führte in der Vergangenheit zu Vier Jahren Umbauphase. Das hat vielen Düsseldorfern nicht geschmeckt. Wie beschreiben Sie diese Zeit? Was war die größte Herausforderung?

Manchmal frage ich mich schon, wie wir das alles überstanden haben. Für mich persönlich war bereits der Anfang extrem sportlich, weil ich mitten auf die Baustelle kam, als sie schon zwei Jahre lief. Ich fühlte mich anfangs eher als Mediator denn als Direktor, denn einiges auf der Baustelle verlief bekanntlich nicht wie geplant und die Stimmung bei allen Projektbeteiligten war sehr angespannt. Sicherlich habe ich in den Jahren davor einige große Baustellen im Zoo mitbetreut und war in diesem Bereich erfahren. Aber die Dimension des Vorhabens war gewaltig. Nie ist bislang versucht worden, ein derartiges Spezialinstitut bei fortlaufender Tierhaltung zusanieren. Was viele nicht wissen: 85% der Tiere sind im Bestand geblieben, nur die Gefahr-und Gifttiere wurden übergangsweise abgegeben und von Partnerzoos zwischenzeitlich gepflegt. 

Ich könnte seitenweise weiterschreiben, wie ich die Zeit bis zur sehnlichst erwarteten Wiedereröffnung erlebt habe, aber die Kernaussage ist diese: Das Team ist bis weit über die Schmerzgrenze gefordert worden, weil oft Rückschläge kamen. Am Ende gelang es, auch weil das große Ziel nie aus den Augen verloren wurde. Das Aquazoo Löbbecke Museum als meistbesuchte Kultureinrichtung und größter außerschulischer Lernort der Landeshauptstadt sollte den Bürgerinnen und Bürgern in einem modernisierten Zustand mit deutlichem Mehrwert in der Ausstellung und der Tierhaltung wiedergegeben werden. Was mich zutiefst beeindruckt in der Stadt war und ist diese große Liebe innerhalb der Stadtgesellschaft zu „ihrem“ Aquazoo, so wie ich es bisher noch nie erlebt habe. Das ist ein wunderbares Gefühl und der schönste Dank für die anstrengende Arbeit aller Beteiligten!

Der Aquazoo ist eine Einrichtung der Landeshauptstadt Düsseldorf? Sind auch Sie der Stadt verbunden?

Das bin ich natürlich, obschon sich mein Leben zwischen den Städten Düsseldorf und Duisburg abspielt. Schließlich war ich neun Jahre wissenschaftlicher Leiter im Zoo Duisburg und wir sind damals in den Stadtteil Rumeln-Kaldenhausen gezogen. Es wird Sie nicht wundern, dass wir uns im Wildpark Grafenberger Wald immer wieder mal blicken lassen und die Natur genießen. Wir nutzen natürlich das gigantische Kulturangebot in Düsseldorf, waren mit den Zwillingen zuletzt bei einem fantastischen Klavierkonzert im Robert-Schumann-Saal. 

Die Autoausstellung im Kunstpalast habe ich mir nicht entgehen lassen, ich finde die Art und Weise, wie das Museum in die Gesellschaft hinein geöffnet wird, absolut richtig.

Zu einem Männerverein wie den Düsseldorfer Jonges kann man stehen wie man will. Unstrittig ist, dass sich die Jonges extrem heimatverbunden zeigen und ihre Stimme erheben, wenn sie der Meinung sind, dass ein Stück Heimat verloren zu gehen droht. Ich gehöre der Tischgemeinschaft Pastor Jääsch an, die Anfang der 80er Jahre dem Aquazoo eine Schneckenplastik gespendet hat, die in einem Teich links neben dem Eingang steht. Das Denkmal wird einmal jährlich im Rahmen einer Veranstaltung gepflegt. Es herrscht eine tiefe Verbundenheit zum Institut, insofern bin ich auch stolzes Mitglied. 

Last but not least gehört hierher, dass ich Mitglied im Rat der Künste Düsseldorf bin. Der Rat ist die unabhängige und gewählte Interessenvertretung der Kulturschaffenden in Düsseldorf und entstammt einer Forderung aus dem Kulturentwicklungsplan der Landeshauptstadt. Wir haben uns in Arbeitsgruppen organisiert (z.B. Freie Szene, Altersarmut, kulturelle Bildung) und bringen uns aktiv in aktuelle Geschehnisse und auch Problematiken ein, werden seitens der Politik damit auch immer stärker wahrgenommen und gehört.

Was verbinden Sie mit „Haltung zeigen“?

Der Begriff Haltung ist ja sehr vielschichtig. Es fängt schon mit der eigenen Körperhaltung an. Sacke ich in mich zusammen, so dass ich den Eindruck erwecke, deprimiert, unaufgeschlossen oder uninteressiert zu sein. Eine offene Körperhaltung, so wie ich sie immer zu verfolgen suche, signalisiert dagegen: hey, es geht mir gut, ich bin positiv (gestimmt), offen für konstruktive und gerne auch schwierige Gespräche, ergebnisorientiert und interessiert.

Des Weiteren verstehe ich darunter, welche Werte ich für mich selbst als wichtig erachte. Dazu der berühmte Blick morgens in den Spiegel und die entscheidende Frage, ob ich meinen selbst gesteckten Anforderungen gerecht werde. Nichts istschlimmer als vorzugeben, jemand sein zu wollen, und am Ende merkt die eigene Mannschaft, dass nur leere Worthülsen übrig bleiben. Oder,dass der eigene Chef in brenzligen Situationen einknickt. In diesem Zusammenhang, muss ich tatsächlich sagen, bin ich hochreflektiv und befinde mich im übertragenen Sinne eigentlich immer auf der KfZ-Hebebühne zum Check. 

Dann ist natürlich damit gemeint, welche Haltung ich gegenüber gesellschaftspolitischen Strömungen und Entwicklungen habe. Ich muss hier aber hoffentlich nicht extra betonen, dass ich jegliche Form von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit aufs Tiefste verabscheue! 

Haltung zeigt sich aber auch in den allerkleinsten Gesten des täglichen Lebens. Es kann so einfach sein: Hetze ich an der alten Dame vorbei, wenn ihr der Gehstock auf den Boden fällt, oder helfe ich ihr und sende damit ein entsprechendes Signal an die Umgebung.

Das Thema Corona geht aktuell an niemandem vorbei. Wie macht sich die Pandemie im Aquazoo bemerkbar und was ist Ihre persönliche Meinung dazu?

Natürlich hat das Coronavirus auch spürbare Auswirkungen auf den Aquazoo. Alle Veranstaltungen wurden abgesagt, auch Außer-Haus-Aktionen. Die rund 1.400 Bildungsangebote pro Jahr können wir nur mit Hilfe unserer Honorarkräfte stemmen, die auf eigene Rechnung arbeiten und denen nun empfindliche Einkommensverluste drohen. Ich hoffe inständig, dass Bund, Land und Kommune zusammen einen möglichst umfassenden Rettungsschirm aufbauen können.

Den Tagesbetrieb insbesondere in der Tierpflege haben wir angepasst. Wir haben in der Aquaristik- und auch Terrarienabteilung je zwei Teams gebildet, die sich physisch maximal aus dem Weg gehen. Sie wechseln sich wochenweise ab. Personal, dessen Aufgabenbereiche aufgrund der Schließung reduziert sind, haben wir für einfache Tätigkeiten im Bereich der Tierpflege eingeteilt, damit dieser Not-Dienstplan vollumfänglich funktioniert.

Jeder muss jetzt mithelfen und jeder muss gewisse Opfer bringen, aber das haben im Aquazoo auch wirklich alle sofort begriffen. Wo zeitlich noch möglich, versorgen wir unsere Social-Media-Follower mit Livestreams und Infos aus dem Institut, aber das ist aktuell ganz klar die Kür und nicht die Pflicht. 

Ich bin fassungslos und absolut wütend, dass es immer noch gar nicht mal so wenige Mitbürger (eigentlich Gegen-Bürger…) gibt, die Corona-Partys feiern und in größeren Gruppen auftauchen, ja sogar die mittlerweile gesperrten Spielplätze aufsuchen. Es ist alles hart, keine Frage. Und auch bei uns zuhause gibt es lange Diskussionen mit unseren 9jährigen Zwillingen, denen aber durchaus erklärt werden kann und auch muss, warum sie mit den Nachbarkindern für die nächste Zeit nicht mehr im direkten Kontakt spielen dürfen. Wir erleben eine Situation, die es wohl seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland nicht gegeben hat. Es herrscht Ausnahmezustand. Gleichzeitig leben wir in einer Gesellschaft, in der viele nicht mehr in der Lage sind, sich einzuschränken. Den Zenit der Infektionen haben wir sicher noch nicht erreicht. Wenn wir aber alle jetzt aufeinander und insbesondere natürlich auf die besonders gefährdeten Mitbürger Acht geben, uns solidarisch zeigen (ob nun durch Einkäufe für den gebrechlichen Nachbarn oder dadurch, dass wir den Geldwert eines bereits erworbenen Veranstaltungstickets nicht zurückfordern sondern zum „Solidaritätsticket“ umwidmen lassen um den freien Künstlern zu helfen) und akzeptieren, dass das öffentliche Leben auf Null heruntergefahren werden muss, dann wird uns der unsichtbare Gegner nicht niederringen.

Das Leben „danach“ wird anders sein, aber sicherlich freundschaftlicher, rücksichtsvoller und intensiver. Davon bin ich fest überzeugt.       

Vielen Dank für das Gespräch.

Wichtige Links:

Aquazoo Düsseldorf : https://www.duesseldorf.de/aquazoo

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